Die Entwicklungen in der Turnierszene – ein Statement zur Diskussionsanregung

Lesedauer 12 Minuten

Seit Tagen schiebe ich diesen Artikel vor mir her. Ich möchte nicht immer der Kritisierende mit dem erhobenen Zeigefinger sein und meine Meinung steht mit Sicherheit nicht erhaben über den Ansichten anderer Kolleg:innen und Fachleute. Auf der anderen Seite ist die Tanzwelt aber nicht nur mein Beruf sondern seit Kindheit eines der wichtigsten Dinge in meinem Leben und deshalb fällt es mir schwer nicht auch öfters mal mahnend und kritisierend zu sein.

Junge, kreative Menschen müssen sich ausprobieren und ihre eigenen Wege finden. Dazu ist es oft auch nötig, mit Traditionen zu brechen und Dinge zu tun, die ältere Generationen vielleicht nicht gut finden. Ich selbst habe es immer als eines meiner wichtigsten Lebensziele angesehen, immer offen für Neues zu bleiben, und bis heute genieße ich es sehr, zu sehen, wie talentierte, junge Menschen mit Konventionen brechen und Neues gestalten. Nicht alles finde ich schön aber Vieles machen sie toll. Ich sehe es immer als meine Aufgabe sie dabei zu unterstützen und Türen zu öffnen, sie behutsam anzustupsen und ihren Weg nicht nur zu begleiten sondern etwas zu leiten. Deshalb bin ich nicht nur Choreograf geworden sondern auch Pädagoge.

Um so viele Jahre im Beruf zu sein wie meine Kolleg:innen in meinem Netzwerk und ich selbst, bedarf es nicht nur dieser Offenheit für Neues, sondern der permanenten Bereitschaft, Tradition und Konventionen selbst zu hinterfragen. Ich bin sehr froh dass mein Netzwerk, mit dem ich zusammenarbeite diesbezüglich in der Regel ähnlich denkt.

Wenn ich also des Öfteren, auf Social Media, Kongressen oder hier im Blog kritisiere und mahne, so möge man mir bitte glauben, dass ich das niemals aus Affekt tue oder weil ich den bösen Kritiker spielen möchte. Ich habe meine Aufgabe als Juror immer als Unterstützer der Tanzenden, Choreograf:innen und Pädagog:innen gesehen und versuche immer, meine Wertungen nicht als zerstörerische Kritik sondern als Feedback zu geben, welches es den Bewerteten ermöglichen soll, sich zu verbessern und zu wachsen.

Aber es gibt Dinge, die sind für mich immer indiskutabel.

Immer dann wenn es um die Gesundheit von Tänzer:innen, die körperliche und seelische Entwicklung der Kinder und Jugendlichen geht, immer dann wenn ich mangelnde Fairness sehe, wenn ich fehlenden Respekt der Tanzkunst gegenüber sehe und wenn ich aufgrund meiner Erfahrung merke , dass sich etwas in eine Richtung entwickelt, die auf lange Sicht nicht förderlich ist oder die Wurzeln unserer Tanzkunst vergessen oder verwischt werden, dann muss ich den Mund aufmachen, dann kommt der mahnende, erhobene Zeigefinger und das manchmal schonungslos ehrlich. Besonders dann, wenn ich eine Entwicklung bereits schon einmal erlebt habe in der Vergangenheit oder wie in diesem Falle erst vor kurzem in einem anderen Land.

Beim heutigen Thema geht es genau um so eine Entwicklung, die es in den USA mit, wie ich finde, negativen Auswirkungen auf die Qualität und Vielfalt, bei Tanzwettbewerben seit Jahren gibt.

Worum geht es? Dazu muss ich nochmals etwas ausholen und Tanzturniere in ihrem Sinn und Zweck, sowie ihrem Nutzen und Stellenwert etwas genauer beleuchten.

Ich bin seit über 30 Jahren einer der wenigen international gebuchten professionellen und unabhängigen Berufs Juroren bei verschiedenen Verbänden, Institutionen und freien Veranstalter:innen. Auch coache ich viele Wettbewerbstänzer:innen und gestalte Choreografien für Solist:innen, Gruppen und Formationen. Nun könnte man daraus schließen, ich wäre wirtschaftlich abhängig von den Wettbewerben. Im Gegenteil, die Juror:innen werden in der Regel sehr schlecht bezahlt und die Zeit die ich auf Wettbewerben verbringe könnte ich in anderen Produktionen und mit Workshops finanziell lukrativer nutzen. Viele Choreographien und Workshops muss ich aus Interessenkonflikten und Fairness eh absagen, da ich es prinzipiell vermeide, Tanzende und Choreografien zu bewerten, zu denen ich ein engeres Trainer-Verhältnis habe.

Dennoch verwende ich gerne sehr viel Zeit und Energie für Wettbewerbe und Turniere, nicht nur aus idealistischen Gründen. Für mich haben Tanzwettbewerbe sehr viele Vorteile, besonders wenn sie gut organisiert und gestaltet werden, wenn es den Veranstaltenden nicht nur um finanziellen Gewinn geht, sondern um das Tanzen und die jungen Talente, wenn professionelle Juror:innen eingeladen werden, das Reglement gerecht ist und die Organisation stimmt.

Wettbewerbe geben jungen Talenten und besonders Schulen, die sich keine großen Schulaufführungen leisten können, eine gute Gelegenheit ihre Tänzer:innen auf großen Bühnen tanzen zu lassen, Ihnen die Möglichkeit zu geben, vor Publikum zu tanzen. Gute Turniere, bei denen die Kinder und Jugendlichen die Gelegenheit haben, andere Tanzende kennen zu lernen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen und sich miteinander zu messen, können eine gute Sache sein. Ich selbst finde es sehr schade, dass wir in Deutschland kaum Turniere haben, bei denen die Jury den Tanzenden und Lehrenden schriftliches oder direktes Feedback geben kann, sondern nur Punkte vergibt. In anderen Ländern ist man da bereits weiter und die Wertung enthält neben den Punkten immer auch ein schriftliches oder gar gesprochenes Feedback.

Wenn Turniere nicht von übertriebenem Konkurrenzdenken getrieben werden, sollten auch Pädagog:innen und Choreograph:innen, trotz allem Stress, von Wettbewerben profitieren, durch den Austausch mit Kolleg:innen. Ein Blick über den eigenen Tellerrand hat noch nie geschadet. Wer mich kennt weiß, dass ich ein großer Freund von Netzwerken bin und ich freue mich, dass viele Schulen inzwischen nicht mehr nur gegeneinander arbeiten, sondern kooperieren und gemeinsam voneinander profitieren. Ich sehe es auch sehr gerne, wenn Solist:innen verschiedener Schulen sich plötzlich zu einer Small Group formieren, in welcher sie dann nicht mehr Konkurrenten sondern ein Team sind. Turniere geben Tänzer:innen Auftrittsroutine, Selbstbewusstsein und geben Trainingsanreize. Turniere sind eine gute Ergänzung zur Tanzausbildung.

Doch nun kommt mein sehr großes ABER.

Turniere, so wie sie sich derzeit entwickeln, blockieren die künstlerisch kreative Entwicklung der Tanz Lernenden. Der Grund dafür ist ganz einfach. Je mehr objektive Gerechtigkeit man bei einem Wettbewerb erreichen möchte, desto genauer und strikter muss das Reglement sein. Tänze und Tanzende, aber auch Choreograph:innen werden in ein Korsett gesteckt – zeitlich, inhaltlich und stilistisch werden Tänze immer mehr eingeschränkt. Das macht es den Juroren zwar leichter, die Beiträge zu vergleichen, es verhindert aber Individualität und Vielfalt . Die meisten Beiträge bekommen im Wertungsgebiet Choreografie ganz oft ähnliche und sehr enge Bewertungen, da sie oft fast gleich sind. Was den Juror:innen zur Unterscheidung bleibt ist Technik und Ausdruck. Und damit sind wir beim nächsten Problem: Der Ausdruck ist eines der schwierigsten Dinge für fast alle Kinder und Jugendlichen, nur wenige sind bereits in der Lage, durch Mimik, Gestik und besonderen Ausdruck, Publikum und Jury zu erreichen. Wer es schafft, der landet natürlich sehr weit oben, wenn zusätzlich auch die Technik stimmt. Tanzende mit sehr guter Technik und sehr gutem Ausdruck sind in der Regel immer nur wenige in einem Turnier und in der Regel die üblichen „Verdächtigen“, die bei fast jedem Turnier dann logischerweise auf dem Treppchen stehen.

Noch schwieriger ist es mit der Technik. Der Stand der Technik in einer Altersgruppe ist aber in der Regel schon aufgrund des Entwicklungsstandes des Körpers, bei allen Teilnehmenden ähnlich. Wie ich schon in unzähligen Beiträgen geschrieben habe, sollte jeder Wettbewerbs Tanz dem technischen Ausbildungsstand entsprechen. Was ein Kind beziehungsweise Jugendliche in den jeweiligen Entwicklung- und Wachstumsphasen können und lernen sollten, ist physiologisch seit jeher gleich. Was passiert aber gerade? Es gibt auf den Turnieren einige Supertalente, die bestimmte Elemente, technische Schwierigkeiten und Tricks in ihren Choreografien zeigen, die nicht unbedingt dem Alter entsprechen. Diese besonderen Talenten dürfen das natürlich zeigen, da sie durch Fleiß, Talent oder besondere körperliche Voraussetzungen dazu in der Lage sind. Natürlich gewinnen sie mit dieser guten Technik und vielleicht auch noch mit einem sehr guten Ausdruck damit jedes Turnier. Keine Jury hätte Grund oder auch Möglichkeit sie schlecht zu bewerten.

Aber Wettbewerbe sind für die breite Masse unserer Tanz Schüler:innen, welche diese besonderen Voraussetzungen, Fähigkeiten und Talent selten immer mitbringen. Diese sehen nun, was man Tanzen muss, um zu gewinnen, leider lassen sich auch viele Lehrende davon beeinflussen, und so gelangen wir an den Punkt, den wir auf jedem Turnier sehen: Elemente die viel zu früh gezeigt werden, die technisch nicht gemeistert werden können, da sowohl die Ausbildung aber auch die körperliche Entwicklung und die körperlichen Möglichkeiten es gar nicht zulassen. Wir sehen forciertes Turnout, Kinder auf Spitze, deren Füße es gar nicht schaffen, wir sehen Kinder, deren Hypermobilität inszeniert wird, während man besser ihre Aufrichtung, Zentrierung und Placement trainieren sollte, wir sehen Kinder und Jugendliche, die Themen vertanzen die nicht altersgemäß sind, wir sehen Tänzer:innen, die technisch überfordert sind und gar keine Möglichkeit haben , Ausdruck zu zeigen. Wir sehen zuviele Akrobatikfiguren und Tricks, welche mit der eigentlichem Stilistik des Tanzes und oft auch mit der Musik und der Thematik des Tanzes nicht harmonieren. Immer häufiger haben meine Jury Kolleg:innen und ich das Gefühl es werden einfach für jede Choreografie in jedem Stil die immer gleichen Elemente aneinandergereiht. Und wenn dann mal eine sehr gute, zum Beispiel Contemporary, Choreografie dabei ist und man gerade dabei ist, gute Bewertungen zu schreiben, dann schaut man mit einem Auge zur Bühne und plötzlich sieht man wie auch dieser Beitrag plötzlich zerstört wird durch für die Choreografie völlig unnötige A La Second Drehungen oder andere Effekthascherei, da man glaubt man brauche sie zum Sieg.

Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich das hier so unverblümt schreibe. Wir sehen immer öfters die gleichen Fehler und choreographischen Fehltritte. Scheinbar werden auch im Training in den Schulen oft auch besonders nur diese Elemente trainiert und an unzähligen immer neuen Choreographien trainiert auf Kosten der technischen Ausbildung. Ich möchte den Pädagogen:innen gar keine Vorwürfe machen, da viele Veranstalter:innen und Juror:innen dies oft auch noch fördern und belohnen.

Es gibt viele Schulen für künstlerischen Bühnentanz, die aus diesen Gründen ihre Schüler:innen generell nicht auf Turniere schicken, sondern eher andere Möglichkeiten nutzen um ihren Schüler:innen Auftrittsmöglichkeiten zu bieten, wie bei Choreografie- und Theater Festivals. Auch gibt es zum Glück immer noch Wettbewerbe, die sich auf künstlerischen Tanz beschränken und/oder ihren Teilnehmern ein weniger striktes Regelkorsett aufdrücken, bei denen einen größere Anzahl unterschiedlicher Juror:innen ihre Wertung auch aus erweiterter, individuellerer Perspektive vergeben können.

Tanz bedeutet Vielfalt und Individualität. Ohne dies ist künstlerischer Ausdruck nicht möglich. Ohne dies wird es ein reiner, messbarer Sport. Wir sollten unseren Tanz nicht gänzlich auf dem Leistungsdenken beschränken sondern auch auf erleben, spüren, darstellen und gestalten. Ich muss leider zugeben, dass ich bei vielen Turnier Tänzer:innen oft das Gefühl habe, kleine automatisierte Roboter vor mir zu sehen, die alle das gleiche machen und sich im Wettbewerb messen. Wie viel Wettbewerb und Leistungsdenken verträgt eine Gesellschaft?

In einem Judges Tipp auf Instagram schrieb ich vor einer Weile: Mache Dich nicht vergleichbar. Tanze nicht das was alle tanzen. Sei Individuell. Zeige mir, was Du kannst und nicht was jemand anders vielleicht besser kann.

Schüler:innen, die eine künstlerische Bühnenlaufbahn im klassischen Ballett oder modernen Tanz anstreben, rate ich oft sogar von zu vielen Turnierteilnahmen ab, ich verbiete es ihnen nicht, aber ich weiß dass vielen Bühnentanzschulen, ihren Elev:innen der Berufsvorausbildungsklassen verbieten an Wettbewerben teilzunehmen. Die Tanzausbildung in solchen Schulen läuft nach einem festgelegten Ausbildungsplan in verschiedenen Stufen ab. Es ist genau festgelegt was Schüler:innen in welcher Alters und Ausbildungsstufe erlernen sollen,müssen und tanzmedizinisch dürfen, welche Fähigkeiten sie entwickeln sollen. Das deckt sich meist nicht, mit dem, was auf Turnieren gefordert wird. Auch deckt sich der Wettbewerbsgedanke nur wenig mit der künstlerischen Persönlichkeit, die wir bei den Schüler:innen fördern möchten. Ein bisschen Wettbewerb ist okay um sich auf die Konkurrenz im späteren harten Tänzer:innen Alltag (mit leider immer noch vorherrschenden patriarchalen Machtstrukturen und harten Konkurrenzkampf) vorzubereiten.

Doch jetzt kommt wieder das große ABER. Die wenigsten Tänzer die ganz oben bei den Wettbewerben mittanzen, schaffen es wirklich in eine Laufbahn als Bühnentänzer in den Bereichen des künstlerischen Tanzes. Meine Erfahrung zeigt, dass diese zwar in die Bereiche Musical, Show und Commercial Productions schaffen. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber man sollte darauf hinweisen, wenn ein Kind den Traum hat Ballerina zu werden oder später Tanztheater zu machen. Es gibt natürlich einige Ausnahmen aber im Großen und Ganzen ist eine zu starke Ausrichtung auf das Turniertanzen bei vielen staatlichen Hochschulen ein Ausschlusskriterium zur Aufnahme beziehungsweise erschwert die Aufnahme. Egal ob es sich um Schulen wie die Palucca Schule Dresden oder die staatliche Ballettschule in Berlin handelt, aber auch Schulen in Holland, Frankreich und England, immer wieder sieht man bei den Aufnahmeprüfungen, dass es diesen Bewerber:innen an grundlegenden Techniken oder Fähigkeiten fehlt, die gefordert werden bzw. dass der Körper zu sportlich tänzerisch geformt und ausgebildet wurde.

Sie sehen, Wettbewerbe haben durchaus Vorteile aber auch viele Nachteile und wir müssen uns immer wieder Gedanken machen wie wir die Wettbewerbe gestalten, was wir sehen wollen und in welche Richtung wir die Trends lenken.

In den letzten Jahren habe ich immer mehr Wettbewerbe abgesagt und Jury Einladungen nicht angenommen, da eben viele meiner künstlerischen und tanzpädagogischen Ansprüche oft nicht mehr erfüllt sind, die ich an Wettbewerbe stelle. Besonders in den USA und Osteuropa arbeite ich mit bestimmten Veranstalterfirmem nicht mehr zusammen, da viele Wettbewerbe nur noch eine Gelddruckmaschine zu sein scheinen und von Machtstrukturen getrieben sind. Schaut man sich viele internationale Turniere einmal an, so wird man feststellen, dass selbst unterschiedliche Turnierserien von den gleichen Agenturen und Personen organisiert werden, selbst wenn auf dem ersten Blick diese Turniere in Konkurrenz zueinander zu stehen scheinen. Ich möchte hier gar keine Namen nennen, aber wer mag kann leicht recherchieren, wer die global Player sind, die hier gemeint sind. Vielleicht gar nicht so überraschend, haben diese Personen überhaupt gar keinen Tanzbackground sondern sind reine Veranstalter und Geschäftsleute.

Als Juror habe ich es selbst des Öfteren erlebt, dass von diesen Veranstalter:innen subtil oder auch direkt versucht wurde, auf die Jury und die Juryergebnisse Einfluss zu nehmen. Wer mich kennt, kann sich vorstellen, dass ich von diesen mit Sicherheit nicht mehr eingeladen werde, da ich mir dies natürlich niemals habe gefallen lassen.

Für mich ist es nicht weiter tragisch, da es noch genügend internationale Alternativen gibt, bei denen ich als Juror gebucht werde und wenn nicht habe ich endlich mehr Zeit. Aber ich sehe diese Monopolentwicklungen als sehr kritisch und sehe eine große Gefahr darin wenn einige wenige global Player die größten Wettbewerbe ausrichten und unter sich aufteilen.

Derzeit gibt es in Deutschland einen akuten Fall den ich etwas genauer beleuchten möchte und ich würde mir eine Diskussion darüber wünschen.

Dass ich eine wenig gute Meinung zum Dance World Cup habe ist bekannt. Ich kenne einfach Wettbewerbe in dieser Größen Ordnung wo es mehr um die Kinder und Jugendlichen geht, wo mehr auf Begegnung und Austausch wert gelegt wird als beim DanceWorldCup. Was ich beim DanceWorldCup zudem mehrfach erlebt habe ist, dass dieser Wettbewerb, der ja international sein soll, Teilnehmende aus dem UK bevorzugt. Nicht nur dass diese durch die Aufteilung in England, Schottland und Wales wesentlich mehr Teilnehmer schicken können als andere Länder, sondern es ist bereits mehrfach vorgekommen, dass man das Regelwerk ganz bewusst zu Gunsten der Teilnehmenden aus Großbritannien angepasst hat. In letzter Zeit hat man auch den Eindruck, dass die Juroren speziell englisch ausgewählt werden und in der Regel alle aus England stammen beziehungsweise dort unterrichten oder für den Veranstalter Workshops geben. Ich weiß, dass es Schulen gibt die trotzdem gerne dorthin fahren, und das sollen sie auch tun. Was mir nicht gefällt darf anderen gerne gefallen.

Nun passiert aber gerade folgendes, nachdem der Ballett Förderkreis München mit dem Deutschen Ballettwettbewerb nicht mehr der Qualifikationswettbewerb für den Dance World Cup ist, hat sich die Organisation TAF die Rechte als Kooperationspartner gesichert. Zu welchen Konditionen ist mir nicht bekannt und mir fehlen auch noch einige Informationen. Aber was ich weiß ist, dass TAF und Ballettwettbewerb, auch wenn es manche Überschneidung gab und einige Schulen sowohl dort als da gestartet sind, im Großen und Ganzen unterschiedliche Schulen und Ausbildungskonzepte angezogen habe . Der deutsche Ballett Wettbewerb hatte ganz klar immer eine künstlerische Bühnentanz Ausrichtung, während die Turniere des TAF immer mehr tanzsportlich ausgerichtet waren und gewertet wurden.

TAF ist Mitglied der ID0, der international dance Organisation die international in den Bereichen Showdance, Performing Arts, Commercial & Urban weltweit, in den letzten Jahren besonders in Osteuropa, viele der größten Tanz Sport Turniere ausrichtet. TAF Turniere in Deutschland sind die Qualifikationsturniere für alle Wettbewerbe der IDO, so mein Wissensstand.

Außerdem gibt es wohl eine sehr enge Verbindung und Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Tanz Sport Verband (DTV) dem TAF und der IDO. Nun also auch mit dem Dance World Cup. Wenn ich mir nun vorstelle, dass die TAF Turniere nun auch noch Qualifikation für den Dance World Cup sind, so befürchtete ich, dass das Korsett in welches wir unsere Tänzer:innen stecken noch enger wird. Ein Verband entscheidet über die Qualifikation zu mehreren, eigentlich voneinander unabhängigen Turnierserien, entscheidet darüber mit welchen Trends und welcher Stilistik sich Deutschlands Tänzer:innen im Ausland präsentieren. Aus sportlicher Sicht mag das vielleicht sinnvoll sein, aus künstlerischer Sicht für mich ein absolutes Desaster. Aber wir wissen inzwischen auch aus anderen Sportarten und sogar dem Standard- und Lateintanz, dass diese Zentralisierung und Gleichmacherei nicht funktioniert trotzdem versuchen es Einige.

In den USA ist so etwas vor einigen Jahren ähnlich passiert und wenige große Organisationen bestimmen derzeit den Markt und geben vor wie der Tanz in den verschiedenen Stilen auszusehen hat. Hinter vorgehaltener Hand weiß jeder dass man unbedingt Workshops und Einzelstunden bei bestimmten Coaches und Choreograph:innen nehmen muss, wenn man bei bestimmten Turnieren, wo sie dann Judges sind, gewinnen will. Manche Schulen mit vielen Teilnehmenden üben Machtkämpfe aus, indem sie versuchen Veranstalter zu beeinflussen und unter Druck zu setzen, dass sie nicht mehr kommen, wenn sie nicht genug Platzierungen bekommen oder wenn Schule XY gewinnt.

Wie immer sind wir in Europa, besonders in Deutschland so wenig kritisch, dass wir alles was aus Amerika kommt als Vorbild nehmen. Unsere Wettbewerbstänze werden immer amerikanischer, immer wenig künstlerischer, immer sexier, immer schneller, höher, lauter, bunter, weiter aber nicht unbedingt besser. Nichts gegen Amerika, ich habe einen deutschen und amerikanischen Pass, aber zu viel Amerika in Europa ist ein großer Verlust.

Monopole sind wie wir von Facebook und Co wissen nicht wirklich gut und bergen Gefahren.

Ich würde mir wünschen, dass die deutsche Tanzwettbewerbs Szene sich dieser Gefahren bewusst wird und diese Punkte diskutiert, um gegebenenfalls nicht allem blind zu folgen. Wollen wir so einen Tanz und wollen wir diese Entwicklungen?

Tanzwettbewerbe sind eine teure und zeitaufwendige Sache. Für manche Eltern aber auch für viele Schulen und Pädagogen:innen sind sie in vielen Bereichen schwer zu stemmen. Ich merke, dass viele kleinere Schulen sich immer mehr zurückziehen wollen oder müssen; das finde ich sehr schade, während andere Schulen ihr komplettes Geschäftsmodell auf Wettbewerb, Sieg und Ruhm ausrichten.

Derzeit frage ich mich wie viel Wettbewerb wir uns nach einem hoffentlich ein Ende der Pandemie eigentlich aussetzen wollen oder ob etwas weniger vielleicht für eine Weile besser wäre. Die Kinder und Jugendlichen haben, und das lässt sich nicht leugnen, in der Pandemie besonders psychisch aber auch physisch gelitten, ob Tanzwettbewerbe in der nächsten Zeit Sinn machen, ich bezweifle es. Ich wünsche mir mehr gemeinsames tanzen, Tanzcamps und Sozialisation.

Es gäbe noch viele Punkte, die ich nennen könnte, aber ich denke als Diskussionsanregung sollte dieser Artikel reichen und ich hoffe, dass es eine solche Diskussion geben wird.

Abschließend eine Antwort auf eine Frage, die mir Eltern gestellt haben. Sie fragten was für eine Schule ich für mein Kind auswählen würde.

Ich würde mein Kind zunächst bevorzugt auf eine Schule schicken, die eine gesunde Mischung zwischen strukturierter, fokussierter, qualitativ hochwertiger Tanzausbildung, künstlerischer Förderung und etwas Tanzwettbewerbe bietet. Der Fokus sollte aber immer auf der Tanzausbildung liegen. Einige Schulen machen dies sehr gut, in dem sie auf der Basis von gemeinsamen Technikklassen zusätzliche spezielle Trainings anbieten und einige Kinder in der Turniergruppe sind während andere in einer Bühnengruppe bleiben beziehungsweise auch beides machen dürfen oder eben auch nur Technik trainieren. Aber die Basis für alles ist der gemeinsame Technik Unterricht. Das ist für mich der Idealfall.

Nicht jedes Kind soll eine professionelle Tanzlaufbahn einschlagen und hat die körperlichen Vorraussetzungen dazu, aus gesundheitlicher Sicht würde ich immer Ausbildung vor Turniertanzen stellen. Vieles was derzeit für Turniere trainiert wird ist für die meisten Kinder langfristig nicht gesund. Das ist meine Meinung und dafür mag man mich kritisieren.

Ich freue mich über Feedback und rege Diskussionen.

4 Kommentare

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Sehr gut geschrieben, danke. Unsere Schüler haben inzwischen sogar die Lust an den großen Turnieren verloren und gehen nur noch auf kleinere Freundschafts Turniere. Ich hoffe dass sich die Szene wieder auf das Wesentliche konzentriert

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