Kreativität im Schatten des Wettbewerbs: Warum Tanzwettbewerbe die Kreativität einschränken können.

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Kreativität und Tanzwettbewerbe sind zwei Begriffe, die häufig nicht zusammenpassen. Tanz ist eine Kunstform, die sich oft durch Selbstausdruck und Individualität auszeichnet, während Wettbewerbe den Fokus auf Leistung und Vergleichbarkeit legen.

Die Zahl der Tanzwettbewerbe scheint in den letzten Jahren immer mehr zu wachsen. Tanzwettbewerbe sind ein großer Wirtschaftsfaktor der Tanzbranche geworden. Sie bieten Tänzerinnen und Tänzern eine Bühne, um ihr Können zu präsentieren. Das habe ich selbst viele Jahre unterstützt. Wie ich allerdings schon häufiger hier im Blog geschrieben habe, finde ich dieses Überangebot von Wettbewerben und den extremen Fokus, den manche Schulen auf Turniere legen, inzwischen etwas bedenklich.

Ich glaube, dass ein Zuviel an Wettbewerben nicht gut für die Entwicklung des Tanzes und nicht gut für die Ausbildung von kreativen, ausdrucksstarken und vielseitigen Tänzer:innen ist.

In den letzten Jahren habe ich die Anzahl meiner Juryeinsätze drastisch gekürzt. Das hat verschiedene Gründe und ich wähle die Wettbewerbe, die ich juriere, sehr kritisch aus.

Ich empfinde manche Wettbewerbe als seelenlose Events, wo es längst nicht mehr um den Tanz und die Tänzer:innen geht, sondern hauptsächlich um das Portemonnaie des Veranstalters.

Trotzdem werden Juror:innen bis heute meist nicht vernünftig bezahlt. Das führt dazu, dass echte Jury-Profis oft nicht mehr bereit sind, ihre Zeit und Expertise zur Verfügung zu stellen. Ja, auch wenn man es mir wahrscheinlich übel nimmt, ich sage es ganz deutlich: Ich finde die Juroren vieler Wettbewerbe als zu unerfahren und/oder unqualifiziert.

Zuletzt, aber nicht unwichtig, muss ich sagen, viele Wettbewerbe langweilen mich, da ich den Eindruck habe, fast jeder kopiert nur noch und alle tanzen das Gleiche. Doch dazu später mehr.

Auch habe ich den Eindruck, dass der künstlerische Aspekt immer mehr in den Hintergrund gerät und stattdessen der sportliche Aspekt immer mehr gewinnt. Viele Choreografien, oder nennen wir sie besser Routines, ähneln sich. Inzwischen sehe ich in Contemporary, Jazz, Lyrical, aber auch Show und Musical die gleichen Standardelemente. Musik wird meiner Meinung nach zu wenig interpretiert, manchmal habe ich sogar den Eindruck, dass Musikstücke beliebig austauschbar sind.

In diesem Artikel möchte ich einmal genauer aufzeigen, warum der aktuelle Wettbewerbstrend auf Kosten der Kreativität und Individualität geht.

Die Suche nach Konformität schränkt ein.

In Wettbewerben steht oft die Bewertung im Vordergrund. Dies führt dazu, dass Tänzerinnen und Tänzer dazu neigen, sich an die erwarteten Standards anzupassen. Sie wählen häufig Choreografien oder Musikstücke, die sicher gute Bewertungen erhalten, anstatt sich auf unkonventionelle Ideen oder Experimente einzulassen. Dieser Zwang zur Konformität kann die Entfaltung der Kreativität erheblich einschränken. Einer meiner häufigsten Jurytips ist „bleibe individuell, mache dich nicht vergleichbar“. Allerdings muss ich als Juror auch zugeben, dass viele Juroren und Jurorinnen, leider auch oft nur noch, diesen Einheitstrend gut bewerten und von einzelnen Veranstaltern sogar dazu angehalten werden.

Der Vergleich mit anderen hemmt.

Wettbewerbe fördern den direkten Vergleich zwischen Tanzenden. Dies kann dazu führen, dass Tänzerinnen und Tänzer ihre eigenen Fähigkeiten und ihren Stil ständig mit anderen vergleichen. Dieser ständige Vergleich kann zu Selbstzweifeln führen und die Furcht vor dem Scheitern verstärken. Dies wiederum kann die Kreativität behindern, da kreative Risiken oft mit der Möglichkeit des Scheiterns verbunden sind. Gleichzeitig entsteht dazu ein immer stärker werdender Trend zu kopieren.

Konformität macht es der Jury einfach.

Den Jurorinnen und Juroren kommt es gelegen, wenn alle Tänzer:innen ähnliche Stilistik und Elemente zeigen. So können sie ihre Wertung wie im Sport an klar vergleichbaren Faktoren festmachen: wer hat das höhere Bein, wer die bessere Balance, die höheren Sprünge oder zeigt die meisten Pirouetten und so weiter.

Das sieht man häufig auch daran, dass sich die Jury-Wertungen bei manchen Wettbewerben oft nur um wenige Punkte unterscheiden. Manchmal habe ich den Eindruck, Juror:innen differenzieren nicht genug, besonders die etwas subjektiveren Wertungskriterien wie Choreografie und Präsentation werden oft nicht genug differenziert.

Häufig bringt der Wettbewerbsgedanke einen enormen Druck mit sich, zu gewinnen oder zumindest gut abzuschneiden. Dieser Druck kann die Kreativität hemmen, da Tänzerinnen und Tänzer dazu neigen, sich auf das zu konzentrieren, was die Jury oder das Publikum möglicherweise beeindruckt, anstatt sich auf ihre eigene künstlerische Vision zu konzentrieren. Aber leider passt dieser Trend zum Wettbewerbsgedanken gerade sehr gut zu unserem Gesellschaftsklima, das von Leistung und Konkurrenz geprägt ist. Verstehen Sie mich nicht falsch, Leistung und Disziplin sind nicht nur schlecht. Die Mischung macht’s, das Yin und Yang.

Auch den Trend, dass sich immer mehr Tänzer:innen von aktuellen Star-Choreograf:innen ganze Choreographien kaufen, sehe ich kritisch. Eine gute Choreographie sollte immer individuell auf den Tänzer oder die Tänzerin zugeschnitten sein und mit ihr gemeinsam erarbeitet werden. Leider habe ich oft den Eindruck, die Choreograf:innen kennen die Tänzer:innen nicht gut genug. Wenn ich dann als Juror tätig bin, geht es mir oft so, dass ich denke „oh, das ist eine Choreografie von xy“, ich erkenne also den Choreograph oder die Choreographin, aber die Persönlichkeit der Tänzerin oder des Tänzers wurde mir nicht gezeigt. Ich finde das schade. Aus diesem Grund nehme ich auch nicht mehr jeden solcher Aufträge an.

Der Weg zur Lösung?

Trotz dieser Herausforderungen können Tanzwettbewerbe auch eine Möglichkeit bieten, die Kreativität zu fördern, wenn sie auf die richtige Weise angegangen werden. Hier sind einige Ansätze, um die kreative Entfaltung in der Wettbewerbsszene zu unterstützen:

• Betonung der Selbstdarstellung: Tanzwettbewerbe sollten den Selbstausdruck und Individualität der Tänzerinnen und Tänzer fördern, anstatt sie zur Konformität zu drängen. Open Battle Kategorien finde ich übrigens eine gute Idee oder auch Impro Kategorien.

• Bewertung von Kreativität: Die Jury sollte die Kreativität und Originalität der Darbietung ebenso hoch bewerten wie technische Fähigkeiten. Sie sollte die Wertung nicht nur an objektiv vergleichbaren und messbaren Faktoren ausrichten, sondern unter künstlerischen und pädagogischen Aspekten betrachten. Tanz ist zuerst Kunst und dann erst auch sportlich.

• Schutz der Künstler: Tänzerinnen und Tänzer sollten in einer unterstützenden Umgebung arbeiten können, in der sie keine Angst vor negativem Feedback haben müssen.

• Kreativität außerhalb des Wettbewerbs: Tänzerinnen und Tänzer sollten die Möglichkeit haben, außerhalb von Wettbewerben kreative Projekte zu verfolgen, um sich von der Bewertung loszulösen.

Insgesamt ist es wichtig zu verstehen, dass Wettbewerbe nicht zwangsläufig die Kreativität erdrücken müssen. Mit der richtigen Herangehensweise können sie dazu beitragen, Künstlerinnen und Künstler zu inspirieren und herauszufordern. Es liegt an der Tanzgemeinschaft, sicherzustellen, dass die Kreativität nicht im Schatten des Wettbewerbs verblasst, sondern blühen kann.

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