Schlechte Trends bei Tanzwettbewerben und im Training

Lesedauer 5 Minuten

Vieles in den letzten Monaten passiert, wenig habe ich geschrieben, da trotz Lockdowns, kein wirklicher Stillstand war. Die Aufgaben und Arbeiten haben sich nur verschoben.
Eigentlich hatte ich gehofft, dass weniger auf Reisen zu sein auch mehr Zeit zum Schreiben bedeutet, leider falsch gedacht.
Nun heute gibt es endlich wieder einen neuen Beitrag. Vielleicht werden sich nicht Alle darüber freuen, denn wer mich kennt, der weiß, dass ich gerne mal ungefiltert meine Meinung sage. Ich denke aber, dass gerade als verantwortungsvoller Juror, Choreograph und Tanzpädagoge nach all den Jahren im Beruf, es meine Pflicht ist, den Mund auf zu machen, wenn etwas in eine Richtung geht, die nicht gut zu sein scheint.
Deswegen mag meine Meinung vielleicht für Einige unbequem sein, ich würde mir aber wünschen, wenn Viele zumindest einmal darüber nachdenken und reflektieren würden. Wenn ich zu einer Diskussion anregen kann, hätte ich schon etwas erreicht.

Seit 30 Jahren werte ich international Wettbewerbe und noch länger unterrichte und choreographiere ich. Früher hat man immer gesagt, ich wäre ein sogenannter junger Wilder, eine junge Generation von Tänzern und Pädagogen, die traditionelle, verstaubte Techniken und Methoden hinterfragte und veränderte, die Tanzstile mischte und versuchte, kreativ Neues gestalten. Dabei wurden wir oft von den alten Pädagogen ermahnt. Teilweise hatten sie damit recht, teilweise fehlte Ihnen aber der Sinn für etwas Neues. Ich sehe es heute etwas anders. Ich selbst schätze das Traditionelle und respektiere es. Aber ich freue mich auch über jede Kreativität, über Vieles, was die jüngere Generation tut, die Neues gestaltet und bin immer neugierig auf deren Art der Gestaltung und Interpretation. Tanz steht nicht still, Tanz braucht Progression. Auch bestimmte Trainingsmethoden müssen sich aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse immer wieder anpassen. Aber ich bin auch anspruchsvoll geworden und hinterfrage Trends, die zu schnell mit heißer Nadel gestrickt werden. Ich kritisiere Trends die den Tanz nicht weiterbringen und ich muss leider oft die Form der Trainingsmethodik kritisieren. Dennoch ermutige ich immer junge Tänzer, Pädagogen und Choreographen dazu, über Tellerränder zu schauen, kreativ zu sein, Neues zu gestalten. Dazu Bedarf es Mut und das Interesse auch andere Stile und Techniken kennenzulernen, zu lernen und zu verstehen. Es darf aber nicht heißen, angeblich Altmodisches zu verdammen, denn die Wurzeln und die Grundlagen der einzelnen Stile dürfen nicht vergessen werden. Es ist wichtig, dass wir nie vergessen, wo etwas her kommt, es ist das Erbe mehrere Generationen, die uns den Weg geebnet haben, für das, was wir heute tun, egal ob es Horton, Graham, Dunham, sind, Luigi, Fosse, Matt Mattox oder noch weiter zurück Bartenieff, Laban, die klassischen Schulen, Folklore und Gesellschaftstanz um nur einige zu nennen. Wo kommen unsere Urban Styles her? Was steckt hinter HipHop, Urban und Commercial? Was macht JazzDance zum JazzDance?

Diese Liste kann beliebig verlängert werden. Dieses Erbe der Tanzkultur müssen wir verstehen und bewahren, wir müssen es mit Respekt behandeln, um etwas Neues zu gestalten.
Aber Neues zu gestalten darf meiner Meinung nach nicht heißen, einfach nur unreflektiert zu kopieren.
Deshalb ist es nicht nur wichtig, das Erbe zu bewahren, sondern wir müssen genauer werden in dem , was eigentlich Musical Dance ist, was ist Jazzdance, was modern und Contemporary, wo wiederum ist der Unterschied zum Lyrial und so weiter. Neues zu gestalten darf nicht heißen, dass wie ich es immer häufiger sehe, die Choreographien der einzelnen Kategorien auf Wettbewerben beliebig austauschbar sind und oft nicht wirklich in die jeweilige Kategorie passen oder gar in mehreren Kategorien starten könnten.
Also lasst uns trotz aller Kreativität, die Wurzeln nicht vergessen. Ohne Technik nutzt auch Kreativität nicht. Und nur wer eine Choreographie auch technisch korrekt tanzen kann, kann sie auch glaubhaft darstellen. Dies heißt nicht, dass wir technische Roboter beim Tanzen werden sollen, aber ohne Technik geht es nicht.
Man mag mich hassen, aber ehrlich gesagt finde ich es fürchterlich, was ich derzeit auf vielen Wettbewerben sehe. Da tanzen viel zu junge Tänzer viel zu schwierige und viel zu erwachsene Choreographien, zu Musik und Themen, die sie noch nicht verstehen oder darstellen können, oft mit Outfits, in denen ich meine Schüler niemals auf die Bühne lassen würde. Wir tun den jungen Tänzern nichts Gutes damit, eher im Gegenteil wir verschleißen sie.


Ich sagte bereits vor einiger Zeit, als ich zu Gast beim Developdance Podcast war, dass ich mir besonders im Contemporary weniger Leiden und mehr Fröhlichkeit wünschen würde. Eine Choreogaphie wird nicht kunstvoller und künstlerischer dadurch dass ich schwierige Psychoprobleme versuche mit Kinder auf der Bühne darzustellen.
Leider orientieren sich zu Viele an den amerikanischen Competitions, an Serien wie Dance Moms & Co und bedienen sich munter an dem, was sie auf youtube sehen. Nicht alles ist gut, nur weil es aus den USA kommt. Warum werde ich wohl so oft in die USA eingeladen? Weil man sich dort europäische Experten und Expertise wünscht um diesen Trends gegen zu wirken. Sicher, viele Techniken, die wir heute tanzen, kommen aus den USA aber viele ihrer Wurzeln liegen in Europa, waren es doch auch zahlreiche deutsche Tänzer und Choreographen die damals in die USA auswanderten und dort u.a. den amerikanischen Modern Dance durch den German Dance mit gestalteten bzw. sogar die Basis gaben.


Die amerikanische Kultur ist eine Plastik Kultur, eine Entertainment und Sport Kultur, Kinder lernen das bereits in der Schule. So sind die meisten jugendlichen Tänzer dort wesentlich besser und vielseitiger ausgebildet als bei uns, was Tanz, Musical, Schauspiel oder auch Sport angeht. In der Regel lernen amerikanische Kids zum Beispiel während der Schulzeit mindestens zwei Instrumente kennen und spielen. Sie trainieren aber auch fast täglich. Wieviel trainieren deutsche Tänzer, selbst wenn sie bei Wettbewerben teilnehmen? Im Schnitt 1-2mal die Woche plus eventueller Sonderproben am Wochenende.
Aber selbst wenn bei uns genauso trainiert würde und die Kinder die gleiche Technik hätten (auch wenn manche deutschen Tänzer ja international die gleiche Leistung wie die Amerikaner oder auch die russischen Tänzer bringen) , ist es meiner Meinung nach wirklich falsch diesen Stil zu kopieren. Ich glaube wir brauchen ihn auch nicht, um international mithalten zu können. Ich kenne deutsche Schulen, die mit sauberer Technik , musikalischem Tanzen und ihren Möglichkeiten entsprechenden Choreografien aufs Treppchen kommen ohne zu faken, ohne etwas zu performen was sie nicht fühlen und umsetzen können.

Wie breits oben gesagt, als Juroren wollen wir den Ausbildungsstand der Tänzer sehen, der sich in den verschieden Alterstufen verändert. Die wenigsten professionellen Juroren lassen sich mit Fake Technik, viel zu erwachsenen Kostümen und gekünsteltem Ausdruck ködern.
Wir reden immer mehr über Datenschutzverordnungen beim fotografieren, da rein theoretisch jeder sexuell verwirrte Mensch sich ein Ticket für ein Turnier kaufen könnte und dort viele Fotos in unvorteilhaften Posen mit halbnackten Kostümen machen könnte. Auch viele Schulen oder gar Eltern stellen Fotos der Tanzkinder ins Netz, wo oft nur wegschauen mag.

Wenn man sich meine social media profile anschaut sieht man selten Fotos von Workshops oder Events, da ich das nicht mitmachen möchte. Und ich denke jeder sollte dich die Tanzfotos genau anschauen und überlegen, was er hochlädt.

Deshalb erzähle ich auf Fortbildungen immer wieder, das auch die Choreographen bestimmte Elemente und Posen zumindest nicht voll frontal zum Publikum machen sollten, damit eben bestimmte Körperteile nicht direkt dem Publikum oder dem Fotografen präsentiert werden.

Im Übrigen muss ich es in diesem Zusammenhang auch einmal kritisieren und zumindest meine Verwunderung darüber kundtun, warum Eltern es zulassen oder gar noch fördern oder fordern, dass ihre Kinder sich bereits mit 10 oder 11 Jahren, als kleine Instagram Influencerinnen / Dance Models vermarkten und bestimmte Tanzartikelhersteller dies auch noch fördern und davon profitieren durch ihre Ambassadorprogramme. Das ist 1:1 Dance Moms Style und für mich und viele internationale Kollegen ehrlich gesagt widerwärtig.

Ich gebe es zu, die von mir getätigten Äußerungen sind vielleicht für einige Leser starker Tobak, aber ich hoffe, dass doch einige mich verstehen, mir zustimmen oder zumindest darüber nachdenken mögen. Vielleicht haben wir bestimmte Dinge auch nur zu naiv und unreflektiert übernommen und denken uns nichts dabei. Aber es ist nie zu spät, etwas zu ändern.

Bevor ich diesen Beitrag schließe, möchte ich noch darauf hinweisen, dass die meisten Juroren, mit denen ich arbeite, sich mehr Tanz und weniger Tricks und Akrobatik wünschen. Leider muss man sagen, dass die gezeigten Tänze in den letzten Jahren immer unmusikalischer und technisch schlechter werden. Oft kann ich keine altergerechte Tanzausbildung erkennen. Woran mag es liegen, das fast alle Tänzer*Innen die gleichen Elemente, Ticks und Akrobatiks zeigen, wird inzwischen nur noch Akrobatik trainiert, ist das einfacher oder macht es mehr Spass.? Akrobatiks gehören nicht in künstlerischen Contemporary, Jazz oder gar Musical. Auch der Showtanz wird immer akrobatischer, auf Kosten von tänzerischem Fluss, Musikalität und auch Ästhetik. Wir sind keine Turnwettbewerbe sondern die meisten Turniere sind Bühnentanzwettbewerbe.
Zum Glück sind sich international immer mehr Juroren einig, dass wir verstärkt gegen diese negativen Trends, die dem Tanzen schaden, gegensteuern werden.


Vielen Dank fürs Lesen, Nachdenken und Mitdiskutieren.
Sonnige Grüß aus Berlin,

Sten Kuth

Kommentar verfassen