Tanzkinder auf Instagram & Co

Lesedauer 12 Minuten
Eine Anregung zum nachdenken und diskutieren

Es gibt Themen, die ich mir schon lange für diesen Blog vorgenommen habe, die aber so umfangreich und auch schwierig sind, dass man sich zunächst nicht an sie heran traut. Wer mich kennt weiss jedoch, dass ich auch gerne umbequeme Themen angehe und, auch wenn ich nicht immer der mahnende „Motzer“ sein möchte, gerne auch unpopuläre Dinge anspreche.

Heute soll es um das Thema Instagram, genauer Tanzkinder auf Instagram und anderen Social Media Plattformen gehen. 

Im ZDF lief kürzlich in der Sendereihe „13 Fragen“ eine Diskussion zum Thema „Gehören Kinder- Bilder ins Netz?“, die ich sehr sehenswert fand. 

https://www.zdf.de/kultur/13-fragen/kinderbildernetz-13f-100.html

Dabei waren die Ansichten und Meinungen, der Beteiligten sehr unterschiedlich. Manche stellten ihre Kinder ganz selbstverständlich ins Netz, manche Eltern nur verpixelt oder verfremdet und wiederum andere Eltern rigoros gar nicht. Ich bin selbst kein Vater, kann das also nur aus der Pädagogen Perspektive beurteilen und von meinem persönlichen Gefühl her würde ich Kinder nur von hinten oder nicht klar erkennbar beziehungsweise verpixelt ins Netz stellen. Bei meinen Workshops filme ich in der Regel nur zu Archivzwecken, Fotos vergesse ich meist zu machen und wenn, dann mache ich mit den Kindern am Ende ein Gruppenbild. Fotos in Bewegung finde ich immer etwas schwierig, besonders im Trainingsumfeld, da es kaum möglich ist, dass alle Kinder auf einem Foto gleich gut aussehen. Wir lassen uns zwar bei der Anmeldung eine Foto Freigabe Erklärung durch die Eltern unterschreiben, aber ich habe,  mit Ausnahme von Projekten, bei denen  wir professionelle Fotografen dabei haben, selten solche Fotos in Social Media und auf unseren Webseiten gepostet. Oft fotografiere oder filme ich nur Füße oder Beine. Das führt leider oft dazu, dass ich im Vergleich zu vielen meiner Kolleg:innen viel weniger Tanzfotos und Tanz Content auf meinen Social Media Profilen teilen kann, aber ich finde das muss auch nicht sein.

Ich selbst bin viel auf Instagram, beruflich und auch privat. Zum einen ist es ein gutes Netzwerk für mich, um mich mit Tänzer:innen und Kolleg:innen zu verbinden, zum anderen ist meine Familie und Freundeskreis international weit verstreut und so ist Social Media für mich eine gute Möglichkeit, Kontakte zu pflegen. Auch wenn ich leider immer mehr zu der Ansicht, dass der Umgangston und das Procedere auf den verschiedenen Social Media Kanälen immer toxischer und ungesunder wird und ich selbst merke, dass ich mich häufiger mal davon zurückziehe. Auf Facebook und Twitter bin ich privat gar nicht mehr vertreten und für TikTok bin ich, glaube ich zu alt, ich bin zwar dort, aber jedes Mal, wenn ich ab und an die App öffne, denke ich, vielleicht sollte ich es besser löschen.

Meine Reichweite auf Social Media, die Anzahl von Like oder Kommentaren oder sonstiger Interaktion war mir immer schon egal, da ich auch keine Lust habe zu berechnen, was und wann ich poste, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Der Algorithmus mag mich sowieso nicht besonders, habe ich den Eindruck.

Es ist eh  oft nicht ganz einfach zu entscheiden, was ich poste, da ich unterschiedliche Karrieren und Interessen habe und somit unterschiedliche Follower Zielgruppen. Zum einen ist da meine tanzpädagogische Arbeit und die Arbeit als Juror, bei der ich mit Kindern und Jugendlichen zu tun habe, meine internationale choreografische und künstlerische Arbeit, sowie mein Engagement als LGBTQ* Aktivist und die Tätigkeit als Holistischer Coach und Autor. Auf der anderen Seite bin ich auch immer noch ein privater Mensch. Also versuche ich immer so zu posten, dass es dem Jugendschutz und den rechtlichen Vorgaben entspricht, auch wenn manche Inhalte für Kinder und jüngere Jugendliche vielleicht auch zu komplex sind. Ich gehe davon aus, dass sie dann eh gelangweilt weiter klicken, sie wollen meistens private Dinge sehen, was lustiges oder noch besser alles was mit dem Tanzen zu tun hat. Auch der Versuch, mehrere Profile zu haben, die nach den unterschiedlichen Themen aufgeschlüsselt sind, funktioniert nur bedingt.  Die meisten Tanzkids und Jugendlichen folgen mir nach wie vor auf meinem Sten Kuth Profil und nicht auf meinem Tanzprofil.

Generell hoffe ich, dass die meisten “ Kinder Profile“ noch von den Eltern geführt werden, auch wenn ich inzwischen immer mehr mitbekomme, dass die Kinder, die Social Media alleine benutzen, immer jünger werden, deshalb poste ich inzwischen einige Dinge auch nur in einer privaten Freundesliste und nicht öffentlich. Auch einfach um die Zielgruppen etwas gezielter zu bedienen.

Die Frage, ob KinderBilder  in Social Media beziehungsweise ins Internet generell gehören, müssen Eltern für sich selbst beantworten. Auch Kinder haben bereits ein Recht am eigenen Bild, auch wenn dieses natürlich zunächst von den Erziehungsberechtigten vertreten wird. Ich bin aber der Meinung, Eltern sollten ihre Kinder fragen, bevor sie Fotos von ihnen auf Instagram oder anderen sozialen Medien posten. Dies ist wichtig, um das Recht am eigenen Bild zu respektieren und sicherzustellen, dass das Kind sich wohl fühlt und mit der Veröffentlichung des Fotos einverstanden ist. Kinder sollten auch in der Lage sein, ihre Meinung dazu zu äußern, welche Fotos von ihnen auf sozialen Medien geteilt werden sollen und welche nicht. Eltern sollten auch sicherstellen, dass sie keine Fotos von ihren Kindern in peinlichen oder unangemessenen Situationen posten und dass die Privatsphäre und Sicherheit ihrer Kinder auf sozialen Medien gewahrt bleiben.

Eltern und Kinder müssen den Umgang mit sozialen Medien lernen und immer wieder hinterfragen.

Das Internet ist nicht dasselbe wie ein altmodisches Fotoalbum, welches bei Familienfeiern oder sonstigen Anlässen herum gezeigt wird, sondern in der Regel bleibt alles was einmal im Netz war auch irgendwo im Netz abgespeichert. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ich Phasen hatte, in denen ich es ganz schrecklich fand, wenn meine Mutter diese Fotos rum gezeigt hat, selbst als ich selbst schon erwachsen war. Auf der anderen Seite freut man sich natürlich, wenn man Foto Erinnerungen hat, aber müssen diese wirklich öffentlich im Netz verfügbar sein? Inzwischen besitze ich dieses Fotoalbum und nun kann ich selber entscheiden, welche Fotos ich geheim halte und welche ich herum zeige. Hätten meine Eltern das damals ins Internet gestellt, hätte ich diese Entscheidungsmöglichkeit heute nicht. Diese Frage, wie gesagt, müssen sich Erziehungsberechtigte aber selber stellen.

Alles, was einmal im Internet steht, bleibt es in der Regel im Internet und kann von jedem geteilt und verbreitet werden.

72 Prozent der befragten Kinder gaben an, sich online bereits mindestens einer Gefahr ausgesetzt gefühlt zu haben. Dazu zählen für 47 Prozent der Befragten zwar auch an und für sich harmlose Dinge wie unerwünschte Werbung und Pop-ups, doch mehr als ein Drittel (36 Prozent) berichtet auch von “unangemessenen Inhalten und Bildern”. Jeweils knapp jedes fünfte Kind hatte schon Kontakt mit Bullying (19 Prozent), sexueller Belästigung (17 Prozent) und Securitythemen wie Hacking und Phishing (17 Prozent).

https://www.derstandard.de/story/2000139352512/studie-drei-viertel-aller-kinder-waren-online-schon-bedrohungen-ausgesetzt

Studie der Boston Consulting Group (BCG)

Es ist allgemein bekannt, dass es durchaus  potenzielle Risiken für Kinder in Social Media gibt, wie Cybermobbing, Sexting, der Umgang mit Fremden oder der Missbrauch von persönlichen Informationen. Es ist wichtig, dass Eltern ihre Kinder über die potenziellen Risiken aufklären und sicherstellen, dass sie verantwortungsbewusst mit der Plattform umgehen. Dazu ist es aber auch notwendig, dass auch wir Erwachsenen immer wieder unsere eigene Medienkompetenz hinterfragen.

Übrigens habe ich besonders nach Corona, zumindest in den Studios, wo ich unterrichte, den Eindruck, dass immer mehr Kinder und Jugendliche gar kein Interesse mehr an Social Media haben, zumindest lese ich von Ihnen relativ wenig auf den Social Media Kanälen und muss auch im Unterricht viel seltener ermahnen, das Smartphone wegzuschließen .

Es gibt Studien, die aufdecken, dass immer mehr Kinder und Jugendliche bereits in jungen Jahren Erfahrungen mit Cybermobbing, also mit Gewalt und Übergriffigkeit im Internet zu tun hatten. Ein Teil dieser Übergriffe sind negative und beleidigende HassKommentare unter geposteten Fotos. 

https://www.saferinternet.at/news-detail/neue-studie-cyber-mobbing-hat-in-der-pandemie-zugenommen

Und bei allem, was ich bisher geschrieben hab, geht es nur um ganz normale Alltagsfotos. Schauen wir uns nun aber mal die Tanzfotos an, die Instagram und TikTok füllen.

Da werden Kinder und Jugendlichen in, tanzbedingt notwendigerweise oft enger und knapper Tanzkleidung, für die Bühne geschminkt und zurecht gemacht, fotografiert und ins Netz gestellt, dazu noch in der Bewegung und in Posen, die aus der Bewegung losgelöst oft den Blick mitten in den Schritt lenken oder bestimmte Körperteile betonen. Für uns Tanzmenschen und , wie sage ich es korrekt, nicht pädophile Menschen, sind diese Fotos in der Regel nicht wirklich ein Problem. Aber wie ich eingangs schrieb, wissen wir, wer sonst noch auf diese Fotos Zugriff hat, sich, ich drücke es mal neutral aus daran berauscht? Wo landen diese Bilder am Ende? Es muss nicht zwangsläufig auf Pädophilie hinauslaufen, oft werden die Fotos aber auch ungefragt für Werbung oder zum Identitäts Klau verwendet.

Für mich persönlich noch merkwürdiger und bedenklicher, und damit werde ich vielleicht einige jetzt brüskieren, sind die, ich nenne sie mal „Kinder Model Tanz Influenzer“ Fotos auf Instagram. Das ist für mich als halb Amerikaner so erschreckend unerträglich amerikanisch, dass ich in der Regel sofort weiter scrolle und solche Fotos in der Regel auch nicht mit einem Like versehe. 

Kinder wollen immer Erwachsene imitieren, die Frage ist, wie weit dies ok ist, wann wir sie bremsen müssen.

Ich weiß nicht, ob ich diesbezüglich etwas empfindlich und altmodisch bin, aber diesen leichtsinnigen Umgang mit Kindern in diesem Posen im Internet macht mich ehrlich auch etwas wütend. Ich will ihn erklären warum.

Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich ein queerer Mensch, also Angehöriger der LGBTQAI+ Community, bin. Auch wenn es inzwischen in vielen Ländern mehr Rechte und Schutz für LGBTQ gibt, so ist derzeit weltweit, auch in Europa und Deutschland, ein Rückschritt zu erleben. Homo- und transphobe Gewalt und Diskriminierung nehmen zu genauso wie Rassismus, Antisemitismus und AntiIslamismus. Kinder und Jugendliche, ob queer oder nicht, erfahren Mobbing und Diskriminierung aufgrund ihres Aussehens , ihrer Herkunft oder weil sie in irgendeinem anderen Punkt scheinbar nicht der Norm, der Majorität oder dem Trend entsprechen. 

Deshalb halte ich, als jemand der, inzwischen seit über 30 Jahren, mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, es für meine Pflicht, offen und positiv zu meiner Identität zu stehen. Dazu gehört auch das Vermitteln von positiven Körperbildern und das Vermitteln von Respekt und Akzeptanz, sowie Gleichberechtigung und das Aufbrechen tradierter Hierarchien im Tanz und veralteter Stereotype. 

Queere Lebensformen und vor allen Dingen eine sexuelle Identität kann man nicht promoten, auch wenn das durch hassende Menschen oft suggeriert wird. Statdessen kann man aber Vielfalt vorleben und ein Klima schaffen, in dem sich Kinder und Jugendliche offen und angstfrei entwickeln können. Gerade in der tänzerischen und künstlerischen Arbeit ist es wichtig ein wertungsfreies Körperverständnis und einen offenen Geist zu entwickeln (trotz aller Leistungsbewertung und Ausbildungsdisziplin). Ohne dies ist kreatives Arbeiten nicht möglich, in einer von Angst und Scham geprägt Atmosphäre ist es nicht möglich, die Kinder zu Kreativität, freien Bewegungen und künstlerischem Schaffen anzuregen.

Ich bin sehr froh, dass die meistens Eltern meiner Tanzschüler ähnlich denken und das schätzen. Ich nehme den Jugendschutz in meinen Veranstaltungen sehr ernst. Gebe sogar regelmäßige Seminare zu diesem Thema. Auch viele andere Verbände haben inzwischen begonnen Schutzkonzepte zu entwickeln, verlangen von ihren Pädagogen nicht nur Führungszeugnisse, sondern auch eine ethische Selbsterklärung, die ich bereits seit 15 Jahren auf meiner Webseite habe, und bilden dann und Pädagog:inne in Prävention von und Umgang mit Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in jeglicher Form fort. Wer sich dafür interessiert, empfehle ich das Konzept der Landesarbeitsgemeinschaft Tanz Nordrhein-Westfalen, welches ich nachfolgend verlinke:

https://www.lag-tanz-nrw.de/praeventionsarbeit/unser-schutzkonzept

Da demonstrieren, evangelikale und konservative bis rechte Populisten und so genannte besorgte Eltern gegen eine angebliche Früh-Sexualisierung und gegen Drag Queens die Kindern Geschichten vorlesen, die vermitteln sollen, Hey, ist es okay, anders zu sein, während auf Tanzturnieren und Schönheitswettbewerben Kinder mehr geschminkt sind als die Queens von RuPaul’s Drag Race und wie kleine Mini Erwachsene in Szene gesetzt werden. Da kann man sich nur an den Kopf fassen.

Derzeit frage ich mich aber, besonders beim Besuch von Instagram oft, ob wir Pädagogen uns oft mehr Gedanken machen um den Jugendschutz als es die Eltern tun. Wenn ich dann noch in den Nachrichten lese, dass von evangelikalen Kreisen, angeblich besorgten Eltern und konservativ bis rechten Populisten immer von sogenannter Früh Sexualisierung geredet wird, nur weil Pädagog:innen versuchen, mehr Diversität zu vermitteln und ich dann gleichzeitig sehe, was auf Instagram gepostet wird, dann weiß ich nicht, ob ich wütend oder einfach nur traurig sein soll. 

Wenn Sie die Nachrichten aus den USA verfolgen, dann haben Sie vielleicht gehört, dass in bestimmten BundesStaaten die Republikaner Gesetze erlassen, die es Drag Performance Artists verbieten, öffentlich aufzutreten oder in öffentlichen Bibliotheken aus queeren und nicht queeren Kinderbüchern vorzulesen, um den Kids zu vermitteln „hey, es ist okay anders zu sein“ oder „Hey, es ist okay, wenn auch Jungs pink mögen und Mädchen Fußball mögen“. 

Falls solche Veranstaltung noch stattfinden, demonstrieren und schreien konservative bis rechte Kräfte davor und skandieren „Finger weg von unseren Kindern“ (das passiert übrigens inzwischen auch in Deutschland) während ich dann gleichzeitig, nicht nur in den USA, sondern auch hier in Europa auf Wettbewerben Kinder sehe, die stärker geschminkt sind als die Drag Queens bei RuPaul’s Drag Race im Fernsehen, dann stimmt irgendetwas nicht.

Wie bereits gesagt, aber man kann es auch nicht oft genug sagen: Social Media, egal ob Facebook oder Instagram oder TikTok ist kein Safe Space. Jedes Profil, welches auf öffentlich gestellt ist, kann von jeder Person eingesehen werden. übrigens sind auch nicht öffentliche Profile nicht immer 100-prozentig sicher. Wir wissen also nicht wer unsere Fotos sieht, sie per Screenshot oder entsprechende Software runterlädt und was mit diesen Fotos dann geschieht. Zwar gibt es die Möglichkeit, ein Profil auf privat zu stellen, was auch zum Glück einige Eltern beziehungsweise Jugendliche tun, jedoch steht dem oft auch ein bisschen, sagen wir mal vorsichtig, Eitelkeit im Weg, denn ein öffentliches Profil bekommt natürlich wesentlich mehr Likes und Follower.

Ich verstehe natürlich, dass in unserem Falle die Kids und Teens stolz auf ihre Leistungen im Tanz sind und ihre Fortschritte und Erfolge gerne posten, um vielleicht auch etwas Anerkennung für ihre mit Fleiß  ertanzten, Leistungen zu bekommen.

Aber muss man wirklich alles posten, und wie viel und was ist sicher und wann wird es kritisch? Bevor ich mich dieser Frage näher widme, möchte ich eine kurze Geschichte erzählen.

Aber die sind doch so süß, wie sie da mit ihrem kurzen Röckchen stehen und mit ihrem Popo wackeln, die machen das ja wie die Großen.“ 

Zitat einer Mutter am Rande eines Tanzwettbewerbs

Bereits 2010 in meiner Funktion als Jury Vorsitzender der Duisburger Tanztage musste ich beim Finale auf die Bühne und eine Jury Erklärung vorlesen. Der gesamten Jury war im Laufe des Festivals bitter aufgestoßen, dass sehr viele Kinder nicht kindgerecht, gekleidet, choreografiert und geschminkt waren. Viele Choreografien waren viel zu erwachsen und sogar explizit übersexy. Ich kannte diesen Trend schon aus meiner Arbeit in den USA, und ich war entsetzt, dass dies nun auch Deutschland erreichte. Ich sagte auf der Bühne: „auch wenn wir es alle süß und niedlich finden und uns vielleicht nichts dabei denken, so ist die Jury der Meinung, dass es nicht gesund ist Kinder in dieser Form auf der Bühne zu präsentieren, wir wollen keine überschminken Lolitas, sie wissen nie, welche Personen im Publikum sitzen, denen es nicht einzig und allein um das Tanzen geht“. Zuerst ging ein Raunen durch das voll besetzte Theater am Marientor in Duisburg, und dann gab es sehr langen und intensiven Applaus. Seitdem habe ich meine Meinung diesbezüglich immer wieder in verschiedenen Foren, bei Veranstaltungen und verschiedenen Stellen kundgetan und die meisten Pädagog:innen, Jury Kolleg:innen und Eltern sind in der Regel der gleichen Meinung. Dennoch setzt sich der Trend ungebremst fort, inzwischen noch schlimmer als 2010 und manchmal möchte ich bei Wettbewerben bei einzelnen Beiträgen am liebsten die Augen zu machen. 

Inzwischen ist verstärkt Social Media dazu gekommen. Nun beschränkt sich das Ganze nicht nur auf den geschlossenen Raum des Wettbewerbs oder des Theaters, sondern alles wird komplett öffentlich, wie ich oben bereits geschrieben habe. Nicht nur Fotos werden gepostet, sondern auch ganze Choreografien auf YouTube und anderen Kanälen.

Was ist die Lösung? Diese Antwort kann ich Ihnen alleine auch nicht geben aber ich hoffe, dass ich eine Diskussion darüber anregen kann und wir einen kritischeren Umgang mit diesem Thema bekommen könnten.

Was Eltern tun können, habe ich oben bereits beschrieben, Sie müssen entscheiden, ob und was sie von ihren Kindern ins Netz stellen. Dabei gebe ich Ihnen den Tipp, schauen Sie lieber zweimal hin, und hinterfragen Sie bestimmte Fotos und Posen und Outfits; könnten diese Fotos missbraucht werden?

Diskutieren Sie aber auch gerne mit ihren Choreograph:innen und Pädagog:innen, ob bestimmte Outfits wirklich sein müssen und, auch wenn Make-up auch bei Kindern notwendig ist bei Bühnenlicht, ob es noch altersgerecht ist. 

Bei gut ausgebildeten Pädagog:innen gehe ich eigentlich davon aus, dass sie wissen, was für die Kinder okay ist. Leider sehe ich auf den Wettbewerben oft Dinge, die mich daran zweifeln lassen.

Überprüfen Sie regelmäßig die Liste der Follower, um zu sehen, wer ihrem Kind folgt. Im Zweifel ist es immer besser, ein Kinder Profil auf privat zu stellen und Follower Anfragen von fremden Personen nicht anzunehmen.

Was sollten Choreograf:innen und Pädagog:innen tun?

Ihnen kommt eine besondere Verantwortung zu. Vom klassischen Ballett kennen wir bestimmte Positionen, bestimmte Regeln, die besagen, wie man sich zum Publikum dreht, welche Körperteile man in welcher Position frontal dem Publikum zeigt oder eben etwas abgewandt. Daraus könnte man für alle Tanzstile lernen. Natürlich haben die modernen Tanzformen Bewegungen und Posen, alleine schon durch die Arbeit am Boden, die es nicht immer ganz ermöglichen, bestimmte Dinge eben nicht dem Publikum zu präsentieren. Aber bestimmte Dinge sollten einfach ein no go sein: ein breiter Spagat im Trikot (am besten noch ohne Strumpfhose), frontal zum Publikum oder eine StützSpagat Pose wo der Schritt frontal zum Publikum gezeigt wird, ist nicht okay. Wenn ich z.B einen Spagat in die linke Ecke mache, muss ich das nicht mit dem linken Bein vorne machen, damit man von vorne in den Schritt gucken kann, sondern ich sollte das rechte Bein nehmen, um den Schritt vom Publikum zu verbergen. Das sind nur zwei Beispiele. Im Jazz Tanz und all seinem Stilen bis zum Urban finde ich, sollte öfter mal hinterfragt werden, wie viel „sexy“ moves in bestimmten Altersgruppen die Choreografie verträgt. Und welche Songs und Liedtexte, welche Bewegungen kindgerecht sind, das ist doch für einen weiteren Blog Beitrag.

Fragen Sie sich bei jeder Choreografie, welches Kostüm zu den Bewegungen passt, nicht nur, ob das Kostüm die Bewegung ermöglicht, sondern auch ob das Kostüm vielleicht auch bei bestimmten Positionen unerwünschte Einblicke vermeiden kann oder nicht.

Was sollten Fotografen tun?

Viele Tanzfotografen, die ich kenne, vernichten in der Vorauswahl schon bestimmte Fotos, weil sie über die Jahre ein Gefühl bekommen haben, was geht und was nicht. Leider sind die meisten Fotografen keine Fachleute im Tanz und auch wenn einige vielleicht  gut darin sind, Bewegung zu fotografieren, so fehlt oft ein Gefühl für den Bewegungsausdruck und den Hintergrund einer Bewegung. Ein Tanzfotograf hat mich einmal gefragt, wie er lernen könnte, welche Fotos okay sind und welche nicht. Ich habe ihm gesagt, ganz einfach, immer wenn ich in den Schritt oder den Ausschnitt gucken kann, dann gehört das Foto in die Mülltonne. Ganz so einfach ist es zwar nicht, denn es gibt durchaus noch andere Dinge, die nicht okay sind.

Auf der Bühne lässt es sich nicht vermeiden, dass bestimmte Positionen und Bilder entstehen, aber ich kann nur jedem raten genau zu hinterfragen, ob man diese Momentaufnahmen als Foto dann auch noch für immer und ewig ins Netz stellen muss.

Vielleicht sollten wir uns einfach auf Fotos von den Siegerehrungen oder Fotos mit Pokal und Urkunde vor der Fotowand beschränken.

Vielleicht machen Sie sich an die Arbeit und scrollen einmal auf Instagram durch die Tanzprofile und schauen einmal, wieviele Fotos sie nach dem von mir Geschriebenen heute finden, die zumindest fragwürdig sind.

Ich möchte mich hier nicht als Moralapostel aufspielen, aber ich hoffe, dass ich mit diesem Text vielleicht ein paar Gedanken auslösen konnte und eine Diskussion über dieses, wie ich finde, wichtige Thema anzuregen. 
ich freue mich auf Ihr Feedback, gerne können Sie unter diesem Beitrag kommentieren.

2 Kommentare

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Wow, Sten, ich halte mich zwar nur kurz, aber du ‘sagst’ sehr, sehr, sehr, viel Richtiges. – Werden wir uns bei den kommenden Bergischen Tanztagen Mitte Mai in Wuppertal sehen? Ich werde das erste Mal die vier Tage filmisch betreuen.
Lieben Gruß Bernd

Lieber Bernd, danke für Dein Feedback. Ja ich bin auch dieses Jahr in der Jury des Bergischen Löwen. Freue mich, Dich dort nach so langer Zeit wiederzusehen. Liebe Grüße, Sten

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